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Der Böhmerwald – Šumava

Der Böhmerwald ist ein Gebirgszug, der sich zwischen dem Neumarker Pass (Všerubský průsmyk) östlich von Furth im Wald und dem Hohenfurter Sattel (Vyšebrodský průsmyk) in Südböhmen und weiter in das Gratzener Bergland („Novohradské hory“) erstreckt. Der Böhmerwald bildet eine natürliche Grenze zwischen Böhmen, Bayern und Oberösterreich. Der in Bayern gelegene Teil wird seit dem 19. Jahrhundert als Bayerischer Wald bezeichnet, jenseits der tschechischen Grenze heißt die Region Šumava (ausgesprochen „Schumawa“) bzw. Südböhmen, nur in Österreich spricht man heute noch vom Böhmerwald. Zwei Nationalparks in Bayern und Tschechien bilden gemeinsam das größte zusammenhängende Waldschutzgebiet, das sogenannte „grüne Dach“ Mitteleuropas.

Der heute tschechische Teil des Böhmerwaldes war bis 1918 Bestandteil des Königsreichs Böhmen und dadurch der Habsburgermonarchie, danach gehörte er zur Ersten Tschechoslowakischen Republik. Die geographischen und kulturellen Grenzen zu den benachbarten Regionen waren fließend, Bezirksgrenzen wurden im Laufe der Zeit immer wieder geändert. Der Böhmerwald war historisch überwiegend deutschsprachig, die Sprachgrenze verlief quer durch die politischen Bezirke.  In Städten und Ortschaften nahe der Sprachgrenze wurden oftmals beide Sprachen, Deutsch und Tschechisch gesprochen.

In Gegenwart und Zukunft steht die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Mittelpunkt, wobei der Fremdenverkehr eine wichtige Rolle spielt. Durch zahlreiche Kooperation im Rahmen der Euregio Bayerischer Wald-Böhmerwald-Mühlviertel sowie der Europaregion Donau-Moldau wächst wieder zusammen, was lange Zeit durch totalitäre Regime und geschlossene Grenzen getrennt war.

In diesem Raum werden die Bezirke und Regionen des Böhmerwaldes in den politischen Grenzen der Ersten Tschechoslowakischen Republik zwischen 1918 und 1938 dargestellt, eine Zeit, in der zum letzten Mal beide Sprachgruppen in einem Staat lebten.

Regionen des historischen Böhmerwaldes

Inmitten des Budweiser Beckens liegt die Stadt Böhmisch Budweis (České Budějovice). Das Verwaltungszentrum Südböhmens wurde 1265 auf Initiative des böhmischen Königs Přemysl Ottokar II. am Zusammenfluss von Moldau und Maltsch gegründet. Die gesamte Region war tschechischsprachig, bis auf die Stadt Budweis mit den umliegenden Dörfern der Budweiser Sprachinsel, wo bis in das späte 19. Jahrhundert überwiegend deutsch gesprochen wurde. Im Zuge der industriellen Revolution und der damit verbundenen Zuwanderung in die Städte war Budweis um die Wende zum 20. Jahrhundert mehrheitlich von Tschechen bewohnt.

Wichtige Ereignisse in der Geschichte waren

  • die Errichtung einer Pferdeeisenbahn zwischen Budweis und Linz, die in den Jahren 1825 bis 1832 als eine der ersten Eisenbahnen Europas gebaut wurde,
  • die Ansiedlung des Schreibwarenunternehmens Koh-i-Noor Hardtmuth, das 1847 aus Wien hierher zog und zu den ältesten Bleistiftherstellern der Welt gehört,
  • die Gründung der Tschechischen Aktienbrauerei (heute Budweiser Budvar), die seit 1895 das weltberühmte Budweiser Bier braut.

Die Moldau verbindet Budweis mit der Stadt Frauenberg an der Moldau (Hluboká nad Vltavou), in der sich zwei Schlösser befinden: das Jagdschloss Ohrada (Wohrad) und das bekannte Schloss Frauenberg (Hluboká), das im 19. Jahrhundert im damals modischen Tudorgotikstil an der Stelle des früheren Renaissanceschlosses errichtet wurde. Es diente als repräsentative Residenz der Fürsten von Schwarzenberg, die zu den bedeutendsten Adeligen der Habsburger Monarchie gehörten.

Im Süden grenzt der Böhmerwald an Ober- und Niederösterreich, im Osten gehen seine Ausläufer in das Gratzener Bergland über. Seit der Antike führten Handelswege durch die Region, die den Donauraum mit Böhmen verbanden. Entlang der Flüsse Moldau (Vltava) und Maltsch (Malše) entstanden viele Burgen und Siedlungen, darunter die Stadt Kaplitz (Kaplice).

Die Burg Rosenberg (Rožmberk) oberhalb einer Moldauschlinge wird erstmals 1250 als Sitz von Wok von Rosenberg, einem Mitglied des bedeutenden böhmischen Adelsgeschlechts der Witigonen, erwähnt. Der Legende nach teilte der Stammvater der Familie, Witiko von Prčice, seinen Besitz unter fünf Söhnen auf, die daraufhin ihre eigenen Familien gründeten, darunter die Herren von Krumau und die Herren von Rosenberg. Diese stiegen im 14. Jahrhundert zu einer der einflussreichsten böhmischen Adelsfamilien auf und bekleideten die höchsten Ämter des Königreichs. Wilhelm von Rosenberg erwog 1573 sogar die Kandidatur für den polnischen Thron. Die Familie starb kurz darauf aus, ihr Familienwappen, eine rote fünfblättrige Rose, erinnert aber noch heute an vielen Häuserfassaden oder auf Ortsschildern südböhmischer Dörfer an ihren Ruhm.

Der erwähnte Wok gründete 1259 auch das Zisterzienserkloster Hohenfurth (Vyšší Brod) nahe der oberösterreichischen Grenze. In einem befestigten Areal befindet sich die gotische Klosterkirche, in der einer der wertvollsten Kunstschätze Böhmens, das Zawischkreuz, aufbewahrt wird. Im Gegensatz zu vielen anderen blieb das Kloster unter Kaiser Joseph II. von der Auflösung verschont und wird - nach Unterbrechungen im Nationalsozialismus und Kommunismus - weiter von Mönchen bewohnt.

Im 17. Jahrhundert, nach dem Scheitern des böhmischen Ständeaufstandes, erhielt der kaiserliche General Karl Bonaventura Graf Buquoy die benachbarten Herrschaften Rosenberg (Rožmberk) und Gratzen (Nové Hrady). Seine Nachkommen waren hier bis 1945 ansässig und prägten die Gegend durch den Ausbau von Fischzucht, Landwirtschaft und der Glasindustrie. Zu ihrem kulturellen Erbe gehören der große englische Park im Theresiental (Terezino údolí) bei Gratzen und das zweitälteste Naturschutzgebiet in Europa, der Sophien-Urwald (Žofínský prales).

Böhmisch Krumau oder Krummau (Český Krumlov) gehört zu den bekanntesten Orten Böhmens. Malerisch an mehreren Schleifen der Moldau gelegen, diente Krumau als Residenz der Herren von Krumau und von Rosenberg, später der Fürsten von Eggenberg und von Schwarzenberg. Den altertümlichen Charakter der Stadt prägen nicht nur das große Schloss mit seinen weitläufigen Parkanlagen, sondern auch zahlreiche Häuser im Renaissancestil und eng verwinkelte Gassen. Egon Schiele hielt sich mehrmals in Krumau, dem Geburtsort seiner Mutter, auf und malte zahlreiche Bilder mit Motiven der Altstadt. Der Fotograf Josef Seidel und sein Sohn Franz Seidel hinterließen eine umfassende Bilderchronik über Land und Leute des Böhmerwaldes, das  Atelier ist heute ein vielbesuchtes Museum. 1992 wurde Krumau in die Liste des UNESCO Welterbes aufgenommen und ist heute ein Zentrum des Tourismus in Südböhmen.

Eine besondere Form von Volkskunst und Volksfrömmigkeit wurde im nahe von Krumau gelegenen Höritz (Hořice) gepflegt, wo sich im frühen 19. Jahrhundert die Tradition der Passionsspiele etablierte. Die Kleinstadt verfügte über ein eigenes Theatergebäude, ein großes Laienensemble und einen internationalen Ruf, der den berühmten Oberammergauer Passionsspielen ebenbürtig war. Wie viele andere Traditionen fand auch diese nach dem Zweiten Weltkrieg ein jähes Ende und wurde erst nach der Wende in bescheidenem Umfang wieder aufgenommen.

Spuren des reichen kulturellen Erbes finden sich in der Stadt Oberplan (Horní Planá). Hier wurde Adalbert Stifter, einer der berühmtesten deutschsprachigen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, geboren. Der Böhmerwald war für ihn Inspiration und Schauplatz seiner literarischen Werke. An ihn erinnert noch sein Geburtshaus, die Landschaft hat sich aber stark verändert. In den 1950er Jahren wurde das Moldautal einschließlich des sogenannten Moldauherzens nach dem Bau des Lipno-Staudamms überflutet. Auf der anderen Seite des „Südböhmischen Meeres“ befindet sich das Grenzgebirge mit dem Dreiländereck Tschechien-Deutschland-Österreich, der Plöckenstein (Plechý) ist mit 1379 m der höchste Berg des Böhmerwaldes.

Die Geschichte von Prachatitz (Prachatice) und seiner Umgebung ist eng mit dem sogenannten „Goldenen Steig“ verbunden. Bereits in prähistorischer Zeit gab es Handelswege über das Grenzgebirge von Bayern nach Böhmen. Vor allem war es Salz, das aus den Alpen per Schiff nach Passau und von dort mit Pferden nach Prachatitz gebracht („gesäumt“) wurde. Auf dem Rückweg wurde Getreide nach Bayern transportiert. Im 16. Jahrhundert erlebte der Säumerweg seine Blütezeit, die reich gewordene Stadt Prachatitz wurde im Stil der Renaissance umgebaut. Der Dreißigjährige Krieg und die Wirtschaftspolitik der Habsburger ließen die Bedeutung des Steiges später sinken, so blieb die Stadt in ihrer alten Form erhalten.

Ebenfalls mit dem grenzüberschreitenden Handel verbunden ist die nahe gelegene Stadt Winterberg (Vimperk), die im 13. Jahrhundert als Marktsiedlung an einem neu angelegten Zweig des Goldenen Steigs gegründet wurde. Berühmt wurde Winterberg vor allem durch die unternehmerische Tätigkeit von Johann Steinbrener, der hier 1855 eine Druckerei gründete, die später Kalender und Gebetbücher produzierte und weltweit verkaufte.

Im 14. Jahrhundert entstand am Weg nach Prachatitz die Säumersiedlung Wallern (Volary). Ihren typischen Charakter erhielt die Stadt ab dem 16. Jahrhundert, als hier neue Siedler Holzhäuser im alpenländischen Stil bauten. Ähnliche Häuser standen - und stehen teilweise noch heute - auch in anderen Dörfern in der Umgebung und im Bayerischen Wald. Sein besonderes Aussehen verlor Wallern nach dem Zweiten Weltkrieg, als die meisten Holzhäuser abgerissen wurden.

Eine wichtige Persönlichkeit der europäischen Geschichte war Jan Hus aus Hussinetz (Husinec) bei Prachatitz, der böhmische Reformator, der 1415 auf dem Konzil von Konstanz verbrannt wurde.

Aus Prachatitz stammte der Heilige Johann Nepomuk Neumann (1811-1860), er war katholischer Missionar, Begründer des Pfarrschulwesens in den USA und Bischof von Philadelphia.

Die Umgebung von Schüttenhofen (Sušice) stand ab dem 12. Jahrhundert unter der Herrschaft der bayerischen Grafen von Bogen. Im 13. Jahrhundert wurde sie wieder an das Königreich Böhmen angegliedert, König Přemysl Ottokar II. ließ am Fluss Wottawa (Otava) Schüttenhofen zur Königsstadt mit Befestigungsanlage ausbauen. In den folgenden Jahrhunderten blieb die Stadt überwiegend tschechischsprachig.

Anders war es in der Stadt Bergreichenstein (Kašperské Hory), wo im 13. Jahrhundert bedeutende Goldvorkommen entdeckt und von vor allem deutschen Siedlern abgebaut wurden. Die goldene Ära erlebte die Stadt im 14. Jahrhundert während der Herrschaft der Luxemburger: König Johann erhob Bergreichenstein zur freien Bergstadt und sein Sohn Karl IV. ließ einen weiteren Zweig des Goldenen Steiges in die Stadt führen und die königliche Burg Karlsburg (Kašperk) in der Nähe der Stadt errichten.

Einen besonderen Status hatten die sogenannten Künischen (königlichen) Freibauern, hauptsächlich deutsche Siedler, die in den abgelegenen Grenzgebirgen lebten. Sie waren direkt dem König unterstellt, genossen zahlreiche Privilegien und ihr Gebiet war ab dem 17. Jahrhundert in acht Gerichte unterteilt, darunter Seewiesen (Javorná), Haidl am Ahornberg (Zhůří), Stachau (Stachy) und Stadln (Stodůlky). Auf dem Territorium des letztgenannten Gerichtes befindet sich auch die Einöde Pürstling (Březník), die der bedeutende Böhmerwaldschriftsteller Karl Klostermann in seinen Werken beschrieb.

Die Stadt Klattau (Klatovy) ist das Zentrum der gleichnamigen Region, zu dem auch der nördlichste Teil des historischen Böhmerwaldes gehört. Die Siedlung an einem Handelsweg von Böhmen nach Bayern wurde von König Přemysl Ottokar II. zur Königsstadt erhoben. Sehenswürdigkeiten sind der quadratische Marktplatz, das Rathaus mit dem markanten Schwarzen Turm, die barocke Jesuitenkirche und die Barockapotheke „Zum weißen Einhorn“.

Ein wichtiger Ort im nördlichen Böhmerwald ist die Stadt Eisenstein (Železná Ruda), wo früher Eisenerz abgebaut und viele Glashütten gegründet wurden. Heute spielt der Tourismus in Eisenstein und Umgebung eine wichtige Rolle, unter anderem wegen der beiden nahe gelegenen Gletscherseen, dem Schwarzen See (Černé jezero) und dem Teufelssee (Čertovo jezero). Ausschlaggebend für die Entwicklung des Tourismus war die im Jahr 1877 eröffnete Eisenbahnstrecke. Zu ihr gehört der Spitzbergtunnel, der damals mit 1747 Metern der längste Tunnel Österreich-Ungarns war. Im selben Jahr wurde der Grenzbahnhof eröffnet, durch dessen Mitte die Staatsgrenze zum angrenzenden Ort Bayerisch Eisenstein verläuft.

In der anderen Richtung führt die Bahnlinie nach Neuern (Nýrsko), einer Stadt am Angelbach (Úhlava). Auch diese im 13. Jahrhundert erstmals erwähnte Stadt wurde an einem Handelsweg zwischen Bayern und Böhmen gegründet, die Ruinen der Burg Bayereck (Pajrek) bei Neuern erinnern noch heute daran.

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